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18.07.2022

„Die Sprache der Herzen ist gleich.“

Interview mit Meister Shi Yan Liang, Gründer und Leiter des Shaolin-Tempels und Shaolin-Kultur-Zentrums Wien.

 

ÖBR: Lieber Großmeister Shi Yanliang, wie hast du zur Lehre Buddhas gefunden?

 

Shi Yanliang: Ich wurde 1977 geboren und kam mit vier Jahren ins Kloster, um Kung Fu von meinem Onkel, der Shaolin-Mönch war, zu lernen. Mit 15 Jahren ging ich ins Shaolin-Kloster. Ich lebte da mit den Mönchen, lernte die Chan-Meditation und machte bei den täglichen Trainings mit.

 

ÖBR: Wann bist du dann vom Kloster weggegangen?

 

Shi Yanliang: Von 2004 bis 2007 wurde ich vom Abt Shi Yongxin nach Berlin geschickt. Der dortige Shaolin-Tempel wurde vom Abt 2001 gegründet. Und schon 2007 kam ich nach Österreich, um Workshops und Wochenendkurse zu leiten. Nach vielen absolvierten Lehrgängen hat mich Abt Shi Yongxin beauftragt, einen eigenen Tempel in Österreich zu gründen. So musste ich einmal einen geeigneten Ort finden, und nachdem ich diesen Tempel hier (1050 Wien, Bacherplatz 10/Top 3) gefunden hatte, bekam ich 2011 die Vollmacht, den Shaolin-Tempel Österreich zu verwalten.

 

ÖBR: Ist es auch möglich, hier im Bacherpark im Freien zu praktizieren?

 

Shi Yanliang: Bevor die U-Bahn-Baustelle da war, hatten wir jeden Tag von 7 bis 9 Uhr Qi-Gong- und Kung-Fu-Training im Park.

 

ÖBR: Deine buddhistische Heimat ist der Chan-Buddhismus, was kann ich mir darunter vorstellen?

 

Shi Yanliang: Den Chan-Buddhismus hat der indische Mönch Bodhidharma nach China gebracht. Er galt als der 28. Nachfolger Buddhas. Bei uns in China nennt man ihn Damo (Ta-Mo). Er lebte damals etliche Jahre in einer Höhle in den Songshan-Bergen über dem Shaolin-Tempel und praktizierte Meditation. Wir sagen, dass wir in einer Schicksalsverbindung mit Bodhidharma leben. Aufgrund seiner eigenen Meditationspraxis mit Körperübungen galt er als Begründer des Chan-Buddhismus. Chan ist Weisheit, gutes Karma und Versenkung, und die führt zur Erleuchtung.

 

Er traf damals den chinesischen Kaiser Wu-Di. Wenn seine Methode der Meditation für den Kaiser gut genug war, so wollte der Kaiser sie studieren. Doch der Kaiser schenkte ihm anfänglich keinen Glauben an seiner Meditationspraxis. Bevor Bodhidharma um das Jahr 527 zum Shaolin Kloster kam, waren schon zwei andere Mönche nach Shaolin gekommen, die dort Sutren ins Chinesische übersetzten, wie auch schon der indische Mönch Batuo, der 496 das Kloster und die Übersetzungshalle begründet hat. Bodhidharma erkannte jedoch, dass, wenn der Kaiser ihm keinen Glauben schenkt, ihm die Schüler auch nicht glauben werden. So zog er sich in die Höhle über dem Shaolin-Kloster zurück und wartete auf eine gute Zeit, dass ihm der Kaiser Glauben schenkt. Nach zwei Jahren dachte der Kaiser, oh – wenn dieser Mönch zwei Jahre in einer Höhle meditierend verbringt, so muss er wirklich gut sein, und dachte, ich sollte ihn doch einmal einladen [:lacht]. Aber er kam nicht zum Kaiser und meinte nur, dass die Möglichkeit einer Belehrung nun vorbei ist. Weiters dachte er, er wäre noch nicht gut genug und müsse noch weiter meditieren, und wenn er einmal gut genug wäre, käme er zum Kaiser. Jedoch erwähnte Bodhidharma immer wieder, dass er Buddhismus nicht nur für den Kaiser mache, sondern für alle Menschen. Der Begründer des Shaolin-Tempels fand den Ort für den Shaolin-Tempel am Rande der Songshan-Berge im Wald. So setzt sich auch der Name Shaolin zusammen, man könnte es übersetzen mit ‚Das Kloster im Wald vor dem Berge Shao‘.

 

ÖBR: In deinem Tempel wird die Shaolin-Kultur in Workshops angeboten, was ist die Shaolin-Kultur genau?

 

Shi Yanliang: Shaolin-Kultur ist Chan-Buddhismus. Die Shaolin-Kultur hat vier Teile. Chan-Buddhismus, Shaolin-Kung Fu, Shaolin-Medizin und Shaolin-Kunst. Für die meisten Leute bekannt ist das Shaolin-Kung Fu, aber dies ist natürlich keine Kampfart, sondern dient der meditativen Körperbewegung. Wichtig dabei ist, dass die äußerliche Bewegung mit innerer Konzentration und Achtsamkeit verbunden ist. Obwohl im Äußeren viel Bewegung stattfindet, bleibt man im Inneren ruhig und konzentriert. Chan wird auch der Geist von Kung Fu genannt.

 

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"In China sagt man: Lebe gemütlich hinter der Klostermauer –
ich finde, ganz Wien lebt hinter der Mauer."

 

ÖBR: Welcher Unterschied bietet sich dir in Wien, im Gegensatz zu China, wo dein Kloster auf eine 1500 Jahre alte Kultur zurückblicken kann?

 

Shi Yanliang: Österreich hat ebenfalls eine sehr alte Kultur mit vielen historischen Bauten. In Österreich sind die Menschen eher gemütlich und nicht so hektisch wie in China. Die Kultur in Österreich und auch im Buddhismus sieht das Andersartige, gliedert es aber als Teil der gesamten Kultur ein. Trotz der traditionellen Werte in Österreich ist niemand gegen den Buddhismus oder die Shaolin-Kultur hier. Im Shaolin-Kloster war es ähnlich, zum Teil eben auch so gemütlich wie hier. In China sagt man, lebe hinter der Mauer [Klostermauer], aber ich finde hier ganz Wien auch hinter der Mauer [:lacht]. Die Menschen hier sind freundlich auch zu einem Fremden wie mir. Es ist wie Chan-Buddhismus, ich brauche keine Sprache und lasse mein Herz sprechen. Sind die Leute hier in Wien zufrieden, so lachen sie schon. Und wenn ich auch lache, so brauche ich keine Sprache. Trotz all der Unterschiede in Kultur und Land finde ich die Sprache der Herzen gleich. Wie Buddha schon sagte: „Jeder hat eine Buddhanatur“; ist also gleich.

 

Ich bin zwar hier Ausländer, wurde aber nie als so einer behandelt. Als ich das erste Mal von Berlin nach Wien geflogen bin, hatte ich alle meine Dokumente verloren. Diese Sachen waren sehr wichtig für mich. Die Polizei am Flughafen nahm alles auf. Eine Woche später, ich war schon wieder in Berlin, kam ein Anruf aus Wien. Man hatte alle Papiere, Scheckkarten etc. mit der Geldbörse gefunden, und das Bargeld war auch noch vollständig drinnen. Ich finde dieses Erlebnis so buddhistisch, dass ich es immer wieder gerne erzähle. Es ist auch eine Form von Schicksal, aber ich wollte hier auch ein Shaolin-Zentrum gründen, um diese guten Taten auch wieder zurückgeben zu können.

 

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"Die Shaolin-Kultur gehört der ganzen Welt."

 

ÖBR: Ihr bietet auch Shaolin-Medizin an, wie verbindest du dies mit dem Chan-Buddhismus?

 

Shi Yanliang: Man kann sagen, dass die Shaolin-Medizin eine Buddhismus-Medizin ist [:lacht]. Die Shaolin-Medizin ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, wir sagen auch, dass ist die originale chinesische Medizin. Sie steht auch in Verbindung zu Kung Fu, zum Beispiel bei Verletzungen von Bändern, Sehnen und Knochen durch Springen. Hier besteht eine sehr lange Erfahrung der Heilung solcher Verletzungen. Die Shaolin-Medizin hat nicht nur große Erfahrung mit der Heilung akuter Verletzungen, sondern auch große Erfahrung bei der Behandlung mit Kräutern. Es gibt eine eigene Shaolin-Apotheke mit angeschlossener Arztpraxis, wo die Mönche auch gratis behandelt werden können. Die Shaolin-Medizin behandelt nicht nur die körperlichen Leiden, sondern hilft vielmehr auch durch die Chan-Meditation, ganzheitlich zu heilen.

 

ÖBR: Hast du einen Herzenswunsch, den du dir gerne erfüllen möchtest?

 

Shi Yanliang: Ich als Mönch? Ja, viele fragen mich, hast du überhaupt eine Familie, und ich sage immer, keine kleine Familie, ich habe eine Großfamilie. Für mich ist die Shaolin-Kultur sehr wichtig, um körperlich und geistig gesund zu bleiben. Wir sagen, dass Krankheit drei Teile hat. Erster Teil: der Körper ist krank, zweiter Teil: das Herz ist krank, und der dritte Teil kommt vom Karma. So übe ich Kung Fu, damit mein Körper gesund bleibt, und Chan-Buddhismus, damit mein Herz-Geist gesund bleibt. Bin ich selbst glücklich und zufrieden, kann ich auch anderen helfen. Mein Wunsch ist auch, dass die Shaolin-Kultur nicht dem Mönch allein gehört, sondern der ganzen Welt, und ich wünsche mir, dass ich diese wunderbare Shaolin-Kultur allen, die zu uns kommen, weitergeben kann.

 

ÖBR: Recht herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Meister Shi Yan Liang

Im Juni 1977 in China, Yingshang, Provinz Anhui, in eine buddhistische Familie geboren

1993: Eintritt in den Shaolin-Tempel

2000–2004: Leiter der Showgruppe

2004–2007: Reisen nach Deutschland als Lehrtrainer

2007: Ankunft in Österreich, Leitung von Workshops und Wochenendkursen

2010 legte Meister Shi Yan Liang in China die Großmeisterprüfung ab

Oktober 2011: Gründung des Shaolin Tempels und Shaolin Kultur Zentrums in Wien, dessen Leiter er seither ist

Großmeister Shi Yan Liang ist Beauftragter der Shaolin Europe Association e.V. (SEA) und europaweiter Ansprechpartner für Shaolin Kultur.

 

Interview: Hannes Kronika, Fotos: Ida Räther



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