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21.10.2022

„Der Dhammaweg ist ein Prozess der kleinen Schritte, der langsamen Wandlung.“

Interview mit Andrea Huber, Dozentin am Institut für Achtsamkeit und Stressbewältigung, Gründungsmitglied des MBSR-Verbandes Österreich.

 

ÖBR: Liebe Andrea, wie hast du zur Lehre Buddhas gefunden?

 

Andrea: Ich habe nachgedacht, denn ich wusste schon, dass diese Frage kommt [:lacht:]. Mit 15 Jahren hatte ich ein sehr einschneidendes Erlebnis, mein Vater ist plötzlich von einer Stunde auf die andere verstorben. Ich war noch Teenager, und da fragte ich mich: Warum hat mich Gott verlassen? So begab ich mich auf die Suche nach Antworten und interessierte mich viele Jahre für allerlei Sachen wie Esoterik, Psychologie, afrokubanischen Schamanismus. Dann, ich war schon Ende zwanzig, probierte ich Yoga mit ein wenig Meditation und entdeckte dann Karl Obermayer, einen katholischen Pfarrer im fünften Bezirk, der auch gleichzeitig Zen-Meister ist. So dachte ich mir, da kann nicht so viel passieren, bei einem Pfarrer. Das waren meine Anfänge mit Zen, ich bin mit offenen Augen zur Wand gerichtet gesessen und mir war so fad, dass ich bei den Tapeten aus den Siebzigerjahren die Kreise und Ringe gezählt habe. Bei Karl Obermayer war manchmal ein australischer Mönch eingeladen, Bhante Dhammika, und der unterrichtete dann in der Biberstraße. Zu ihm ging ich dann regelmäßig, und auf dem Weg zu ihm hatte ich so ein Glücksgefühl, dass es mich richtiggehend gepackt hat. Er chantete immer die ersten beiden Dhammapada-Verse und nahm sie für mich auf Kassette auf und ich habe es zu Hause immer wieder gesungen. Da fühlte ich mich so beseelt. Danach lud Hannes [Anm.: Hannes Huber] Sayadaw U Pandita [Anm.: Sayadaw U Pandita, Jahrgang 1921, gilt als einer der bedeutendsten Meditationslehrer des Theravada in Birma] nach Wien ein. Er leitete danach ein Zehn-Tages-Retreat in Ungarn, und ich hatte damals keine Ahnung, dass es so eine strenge buddhistische Richtung ist. Mein erstes Zehn-Tages-Retreat, und das gleich unter Sayadaw U Pandita. Ich wusste nicht, auf was ich mich da einließ, es war furchtbar, ich hatte nur Schmerzen, Schmerzen ohne Ende, und trotzdem wusste ich am Ende des Re­treats, der Weg wird steinig, aber er ist meiner. Ich hatte keine Freude mit dieser Erkenntnis, aber es war für mich so klar.

 

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„Trotzdem wusste ich am Ende des Retreats, der Weg wird steinig, aber er ist meiner.“

 

 ÖBR: Wie kann ich mir so ein Retreat vorstellen?

 

Andrea: Eine Stunde sitzen, eine Stunde gehen, das zehn Tage lang im Schweigen. Das Heben und Senken der Bauchdecke betrachten und täglich zum Interview. Erzählt habe ich immer, wie sich meine Knieschmerzen verändert haben, zu etwas anderem bin ich gar nicht gekommen. Dann reifte bei mir die Idee, etwas Längeres zu machen. So machte ich 2001 ein Drei-Monats-Retreat bei U Vivekananda in Lumbini.

 

ÖBR: Wird man da in den Klosterprozess miteingebunden?

 

Andrea: Nein, das ist ein reines Meditationszentrum, es gibt, außer der eigenen Wäsche waschen, keine Klosterarbeiten. Es ist von vier in der Früh mit dem Gong Beginn und dauert bis 21 Uhr abends. Der ganze Tag ist eine Stunde sitzen und eine Stunde gehen und einmal zum Interview. Und auch das war für mich noch so eine Art von Gottessuche. Es klingt vielleicht absurd, in ein buddhistisches Kloster zu gehen, um Gott zu finden, aber das hat mich so angetrieben. Ich wollte es wissen, gibt es ihn oder nicht. Mein Zugang zur buddhistischen Meditation war nicht geprägt durch Vertrauen, sondern vielmehr durch ganz viel Zweifel zu Beginn. Aber meine Neugierde, ich will es ganz genau wissen, ich will tiefer schauen, trieb mich an. Mein Beruf ist Biomedizinische Analytikerin und ich arbeite in einem Krankenhaus. Viele Jahre habe ich mikroskopiert, und für mich war Meditation wie mikroskopieren. Und durch das genaue Hinschauen und Sehen konnte ich beobachten, wie mein Geist arbeitet. Das hat mich dann gepackt, und so habe ich auch alle meine Antworten bekommen.

 

ÖBR: Und danach bist du nach Burma gefahren?

 

Andrea: Ja, genau. Dann traute ich mich mit Hannes nach Burma zu Sayadaw U Pandita auf ein Dreieinhalb-Monats-Retreat. Die Interviews sind echt streng. Er ist meist gesessen und hat dich gar nicht angesehen. Wenn irgendetwas nicht gepasst hat und er hat den Blick gehoben, dann wusste man – Oje, das war nicht das, was Sayadaw hören wollte. Du hast deine Hausübungen nicht gemacht, komm morgen wieder. Dann fuhren wir nach San Francisco ins Insight Meditation Center, wo aber der ganze burmesische Tross angereist ist, und Joseph Goldstein zum Beispiel war ein Teilnehmer. Es gab da lustige Begebenheiten – da sehr viele Menschen am Retreat teilnahmen, kam es in der Früh immer zu Staus vor dem Speisesaal. Joseph und ich wollten oft die Ersten sein. Joseph kam von der anderen Seite, und da langsames achtsames Gehen angesagt war, musste man das quasi vortäuschen. Und das Ziel war, es im Vorbeigehen zu schaffen, in seine Hausschlapfen zu schlüpfen und gleichzeitig weiterzugehen, um keine Zeit zu verlieren, und Joseph hatte das auch praktiziert [:lacht:]. Manchmal gewann er und manchmal ich.

 

ÖBR: Du hast deine buddhistische Heimat in der Theravada-Tradition gefunden, warum?

 

Andrea: Was ich an dieser Mahasi-Sayadaw-Tradition so schätze, ist diese unglaubliche Strukturierung. Es sind auch diese klaren Anweisungen, eins, zwei, drei. Es ist eine analytische Meditationsmethode, und dies entspricht mir sehr. 2006 bin ich dann für sechs Monate nach Lumbini zu Sayadaw U Vivekananda auf Retreat gefahren.

 

ÖBR: Du hast viel analysiert, was ist am Ende übriggeblieben?

 

Andrea: Ich kann nur Folgendes dazu sagen, meine Suche ist zu Ende. Ich bin zu Hause angekommen, und das ist bis jetzt so.

 

ÖBR: Du hast eine sehr schöne Web-Seite [www.Andrea-huber.at] und bietest MBSR-Kurse [Anm.: MBSR bedeutet „Mindfulness-Based Stress Reduction“ und wird als „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ übersetzt] und Meditationstage an, kannst du davon deinen Lebensunterhalt bestreiten?

 

Andrea: Das habe ich nie probiert und möchte es auch gar nicht, nur davon zu leben, ich liebe meinen Beruf und bin nun seit acht Jahren auf einer neurologischen Station. Es ist wunderbar, dass ich seit letztem Jahr halbtags beschäftigt bin, und kann mich so auch vermehrt um meine Kurse kümmern. Ich gebe gerne den Dhamma weiter, und meine Kurse, die mache ich seit 2004, waren immer wunderbar besucht, sogar mit Warteliste. Corona hat dem Ganzen aber einen Knick versetzt und es läuft momentan nicht mehr so gut an.

 

ÖBR: Hast du dein Meditationsangebot auch über „Internet“ angeboten?

 

Andrea: Ja, ich habe die Metta-Meditation live und über Zoom angeboten. Dies hat sich mit Corona so entwickelt, und das ist bis jetzt so geblieben hier in der Theravadaschule. Es hat auch seine Vorteile, da immer wieder auch Leute aus Deutschland oder den westlichen Bundesländern dabei sind. Metta ist eine angeleitete Meditation und kann daher gut auch über Zoom transportiert werden. Im Gegensatz zu MBSR, das vom Austausch lebt und hier nicht mehr so gut weitergegeben werden kann.

 

ÖBR: Kann ich MBSR mit Buddhismus verbinden?

 

Andrea: Jon Kabat-Zinn [Anm.: Professor an der University von Massachusetts. Er unterrichtet Achtsamkeitsmeditation, um Menschen zu helfen, besser mit Stress, Angst und Krankheiten umgehen zu können] hat diese Achtsamkeit aus dem Buddhismus rausgenommen, um es in eine alltagstaugliche Sprache zu bringen. Dies ist ein großer Verdienst von ihm, und deshalb ist MBSR auch so erfolgreich. Es erreicht viele Menschen, auch jene, die sich nicht in ein buddhistisches Zentrum trauen. MBSR ist nicht ident mit Vipassana-Meditation, aber wie Achtsamkeit vermittelt wird, wie ich den Atem beobachte, das ist gleich. Wie ich Empfindungen, Gefühle und Gedanken wahrnehme, ist genauso, als ob ich bei einem Meditationsseminar in Scheibbs teilnehme. Jedoch ist der religiöse Kontext nicht da, und Sila [Anm.: Die fünf Silas sind die buddhistische Grundlage zur Entwicklung von Ethik, Tugend] ist ebenfalls ausgegrenzt. Kritisch kann man betrachten, dass die Achtsamkeit auch als Leistungssteigerung im Beruf Verwendung findet. Es wird konsumiert zur Selbstoptimierung. Man kommt mit einem gewissen Leistungsdenken in die Meditation und nimmt dies mit. Das Ziel ist unterschiedlich zwischen Vipassana und MBSR. Im MBSR geht es darum, dass man sich im Alltag etwas wohler und zufriedener fühlt, besser mit seinen Gefühlen umgehen lernt, dass es leichter ist, den Ärger loszulassen, aber es bleibt eher auf einer Psychoebene. Der Wunsch, zufriedener zu sein und nicht zu leiden, ist allen Menschen eigen, und da ist es egal, ob ich ins buddhistische Zentrum komme oder einen MBSR-Kurs besuche. Der Wunsch nach Ruhe ist ident. Bei Vipassana geht es über diese Psychoebene hinaus in eine tiefe Einsicht über Dukkha, Anatta und Anicca [Anm.: Unzulänglichkeit bzw. Unbefriedigtheit, Existenz ohne einen unveränderlichen Wesenskern und alles ist dem Wandel unterworfen]. Zutiefst verstehen, was es heißt, das Leidhafte, die Vergänglichkeit und vor allem Anatta, über diese Ich-Ebene hinauszugehen, kommt bei MBSR gar nicht vor. Das Ziel ist ein anderes, denn schlussendlich geht es im buddhistischen Weg um Befreiung, um Nibbana.

 

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„Bei Vipassana geht es um Wachheit und Klarheit.“

 

ÖBR: Du hast vorhin gesagt, jeder kommt mit einem Wunsch zur Meditation. Nun, wenn mir dieser Wunsch nicht erfüllt wird, welchen Rat kannst du deinen Schülerinnen und Schülern geben?

 

Andrea: Bei meinen Metta-Vipassana-Retreats in Scheibbs frage ich meistens meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Warum bist du da?“. Da kommt ganz oft als Antwort: Ruhe, Stille, Frieden, zu mir kommen. Dann bekommt man schnell mit, dass es außen vielleicht ruhig ist, aber innen nicht. Das ist auch so ein bisschen ein Irrtum, dass man glaubt, es geht doch um Ruhezustände. Es gibt Meditationen, da geht es um tiefe Ruhezustände, man kann mit den Jhanas gehen, aber bei Vipassana geht es um Wachheit und Klarheit, ein tieferes Verstehen, wie der Geist arbeitet, und zu sehen, dass das nicht das Ich ist, das das macht. Ein Irrtum ist auch zu denken, wenn ich mich nur genug anstrenge, dann kann ich es schon hinbiegen, dann wird es endlich ruhig. Aber es steht immer noch das Ich im Weg. Der Dhammaweg ist ein Prozess der kleinen Schritte, der langsamen Wandlung. Da geht’s nicht mit: ‚Ich probiere es einmal und dann habe ich’s.‘ Es braucht auch Zeit, damit sich die Meditationspraxis im eigenen Rhythmus entfalten kann und nicht wie ‚Ich‘ mir das jetzt vorstelle. Der Dhammaweg ist ein Lebensweg.

 

ÖBR: Hast du einen Herzenswunsch, den du dir gerne erfüllen möchtest?

 

Andrea: Einfach auf dem Weg weiterzugehen und recht viele Jahre hier im buddhistischen Zentrum, in Scheibbs und in Italien zu unterrichten und Retreats zu leiten. Mir ist es wichtig, meine Retreats als Kombination von Metta und Vipassana zu gestalten, weil wir beides brauchen. Metta ist die Freundlichkeit, die das Herz und den Geist weicher macht. Die Milde, die Nachsicht mit sich und vor allem dann das Tieferschauen, die Erkenntnis. Da finde ich das Bild so schön vom Vogel, der beide Flügel braucht, um fliegen zu können. Metta und Vipassana sind ein unglaublich starkes Team.

 

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ÖBR: Wie siehst du die Arbeit der ÖBR als Dachverband?

 

Andrea: Ich finde sie ganz, ganz wichtig. Es ist ein Zusammenbringen aller verschiedenen Gruppen. Der Buddhismus ist auch nicht eins und die ÖBR ist auch ein Zusammenkommen der vielen unterschiedlichen Menschen, die dann gemeinsam etwas organisieren, wie zum Beispiel die Vierzig-Jahr-Feier nächstes Jahr. Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist immens wichtig.

 

ÖBR: Gibt es eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die du aber gerne beantworten möchtest?

Andrea: Vielleicht die Frage, warum ich unterrichte? Ich habe so ein Geschenk bekommen, und das möchte ich weitergeben. Menschen zu begleiten auf diesem Weg zu sich selbst zu einem tieferen Verstehen. Letztendlich ist Meditation auch eine Friedensarbeit, die wir machen. Mir ist es ein Anliegen und eine Freude, dass mehr Menschen auf diesen Weg kommen und ich mit ihnen in Kontakt komme.

 

ÖBR: Danke fürs Gespräch.

 

Interview: Hannes Kronika, Fotos: Ida Räther

 

Andrea Huber

Geboren 1966 in Wien.

1985 Ausbildung zur Biomedizinischen Analytikerin.

Meditationspraxis seit 1998, begonnen mit christlichem Zen bei Karl Obermayer, dann Vipassana in einer burmesischen Tradition.

Seit 2001 Schülerin von Sayadaw U Pandita und Sayadaw U Vivekananda.

Mehrere bis zu sechs-monatige Vipassana-Meditationsretreats in Burma, Nepal und den USA.

2004 Ausbildung in MBSR (Stressbewältigung durch Achtsamkeit) nach Jon Kabat-Zinn.

2013 Ausbildung in MBCL (Mindfulness-Based Compassionate Living).

Dozentin am Institut für Achtsamkeit und Stressbewältigung und Gründungsmitglied des MBSR-Verbandes Österreich.

Unterrichtet Metta-Meditation am buddhistischen Zentrum Wien seit 2001.

Leitet Vipassana- und Metta-Retreats im buddhistischen Zentrum Scheibbs seit 2009.

 

 



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