Buddhistische Wurzeln in Österreich
Die ersten ernsthaften Kontakte eines Österreichers mit dem Buddhismus liegen irgendwo verborgen im 17. oder 18. Jahrhundert – sie waren geprägt durch die Begegnung eines Jesuitenmissionars mit dem Vajrayana-Buddhismus in den Tiefen der Himalaya-Länder. Weiter schweigt dann die Chronik. Der Bogen schließt sich aber durchaus, wenn man davon ausgeht, dass der Vajrayana-Buddhismus heute die am stärksten verbreitete Form des Buddhismus in Österreich ist. Trotzdem dauerte es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis die ersten Belege für einen Buddhismus in Österreich aufscheinen. Dabei handelt es sich um die ersten deutschen Übersetzungen durch Karl Eugen Neumann - dessen Nachlass wird von der ÖBR archiviert - aus dem Palikanon, dem Dreikorb der buddhistischen heiligen Grundtexte: dem „Korb der Lehrreden“, dem „Korb der Ordensdisziplin“ und dem „Korb der höheren Lehren“. Man kann durchaus auch sagen, dass der Buddhismus zu jener Zeit noch mehrheitlich wissenschaftliches Interesse und nicht spirituelles erregt hat. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kommt es zu der ersten Vorgängerorganisation der heutigen Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft (ÖBR).
Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt die Rezeption dieser für den Westen neuen und in ihren philosophischen Ansätzen ziemlich fremden Religion. Es ist eine Religion ohne Gottesglauben und ohne Dogmatismus. So sehr das vielleicht auch für Menschen, die in den abrahamitischen Religionen des Westens verwurzelt sind, nicht nur fremd-, sondern auch eigenartig anmuten mag, so sehr sind es gerade diese philosophischen Unterschiede, von denen sich viele von ihren angestammten Glaubensrichtungen Enttäuschte anziehen lassen und die in dieser Religion ihren Weg zu ihrer Befreiung und ihre neue spirituelle Heimat finden.
Der Buddhismus ist keine Religion, die auf missionarischem Wege zu uns gekommen ist – er kam zu uns, indem er zuerst von Wissenschaftlern mitgebracht wurde, während dann religiös inspirierte Menschen Nonnen und Mönche aus Asien eingeladen haben, um uns die Lehre zu übermitteln. Aber auch viele `Westler/innen´ gingen nach Asien, um den Dharma (die Lehre) zu studieren und wurden dann zu wertvollen Lehrerinnen und Lehrern hier in Europa und Österreich.
Vor seiner Ausbreitung im Westen existierte der Buddhismus überwiegend in seinen Traditionen isoliert in den einzelnen Ländern ihres Entstehens. Erst mit dem Weg in den Westen kam es dazu, dass auch die einzelnen Traditionen des Buddhismus aufeinander trafen und damit eine neue Form der Entwicklung begann. Es gibt bis heute keinen westlichen Buddhismus. Jede Form des westlichen Buddhismus heute besteht in den Formen der unterschiedlichen asiatischen Traditionen, die hier gleichwertig koexistieren.
Seit 1983 ist der Buddhismus in Österreich als Religion staatlich anerkannt.
Um aber den normativen Anforderungen des Westens gerecht zu werden, existiert die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, unter deren Dach die in Österreich vertretenen Traditionen des Buddhismus vereint sind. Mit dieser Organisation ist der Buddhismus in Österreich seit dem Februar 1983 offiziell vom Staat als Religion anerkannt und existiert gleichwertig neben den anderen in Österreich offiziell anerkannten Religionen.
Damit war Österreich eines der ersten Länder in Europa, das den Buddhismus offiziell als Religion anerkannt hatte. Diese Form der Anerkennung ist auch Ausdruck, wie eine friedliche und für alle Teile nutzenbringende Form des Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen möglich ist.
Für die ÖBR bedeutet diese Anerkennung ein sehr großes Geschenk von hohem Wert, und gleichzeitig auch eine große Verpflichtung dem Staat und der österreichischen Gesellschaft gegenüber. Diese Aufgabe wird aber nicht als Last empfunden, sondern insofern als Freude, als es Bestandteil der buddhistischen Praxis und des buddhistischen Weges ist, sich um das Wohl aller fühlenden Wesen zu kümmern. Daraus leitet sich selbstverständlich die Sorge um das Wohl der Gesellschaft ab, in der die jeweilige Sangha (buddhistische Gemeinschaft) existiert. Und in diesem Licht ist auch die jahrelange tragende Rolle in der Europäischen Buddhistischen Union zu sehen.
Die buddhistische Religionsgesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten langsam und stetig gewachsen und so auch ihre Aufgaben und Anforderungen. Der Buddhismus in Österreich war zu Beginn seiner Entwicklung in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrzunehmen. Das kleine Pflänzchen der Buddhalehre keimte und wuchs langsam und wohlbehütet in Wohnungen, die zu Tempeln umfunktioniert wurden und an den eher noch privaten Adressen der ersten Vorläufer des heutigen Buddhistischen Zentrums in 1010 Wien.
Nach dem Tod ihres ersten Präsidenten – Walter Karwath – lenkte der aus Österreich stammende Zenmönch Osho Genro Koudela für 15 Jahre die Geschicke der ÖBR. In seiner langen Amtszeit konnte sich durch seine ruhige und behutsame Leitung die Lehre des Buddha in ihrer großen Vielfalt der unterschiedlichen Traditionen heilsam etablieren und entfalten. Danach folgte ihm sein langjähriger Generalsekretär, Peter Riedl, im Amt als dritter Präsident nach. Seit 2006 ist Gerhard Weissgrab Präsident der ÖBR.
Buddhismus in Österreich heute
Heute ist es unsere große und wichtige Aufgabe, dem Buddhismus in Österreich ein für alle Menschen klar erkennbares Profil zu geben. Es gilt, die wesentlichen und wichtigen Traditionen zu wahren. Im Überblick aller Gruppen der ÖBR finden sich die wichtigsten Richtungen des Buddhismus wieder.
Es geht nicht darum, aus diesen unterschiedlichen Traditionen eine neue westliche Tradition zu bauen. Es gilt, das wertvolle Angebot, das uns die einzelnen Traditionen darbieten, so zu nützen, dass wir mit unserem westlichen Verständnis und unseren westlichen Wurzeln die Essenz der Lehre des Buddha in authentischer Form erkennen und praktizieren können.
Der Dharma (die Lehre) ist neutral, klar und rein wie ein schön geschliffener Diamant: legt man ihn auf blauen Samt, so schimmert er blau, legt man ihn auf roten Samt, so schimmert er rot – in seiner Essenz bleibt er aber immer von gleicher Klarheit. Um das Erkennen und Praktizieren dieser Klarheit geht es letztendlich.
Gerade die Lehre des Buddha mit ihrer weitgehend friedlichen Entwicklungsgeschichte und der besonderen Form von Toleranz kann einen wesentlichen und hilfreichen Beitrag leisten. Der Buddhismus betrachtet sich nicht als die einzig wahre Lehre, sondern sieht sich selbst und alle anderen Religionen als gleichberechtigte und gleichwertige Wege, die den Menschen Hilfe aus ihrer spirituellen Not – aber auch ganz pragmatisch, aus ihren täglichen Belastungen – bieten können. Der Buddhismus versteht sich nicht in Konkurrenz zu den anderen Religionen – er ist ein Angebot an jene Suchenden, die in den anderen Religionen ihren Weg nicht finden. Es geht nicht darum, wer den besseren Weg bietet, sondern es geht für jeden einzelnen darum, den für sich richtigen Weg zu finden.
Der Weg des Buddha ist vor allem auch ein Weg zur Entwicklung des einzelnen Menschen. Er soll den Einzelnen zu Einsicht und Erkenntnis führen – und über die Entwicklung der einzelnen Menschen kann auch eine Entwicklung der Gesellschaft stattfinden.
Diesen suchenden Menschen mögliche Antworten und Wege aufzuzeigen, darin liegt die Zukunft des Buddhismus in Österreich, und die bestmöglichen Bedingungen dafür zu schaffen, darin liegt die Aufgabe der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft.
Mögen alle Wesen frei von Leiden und dessen Bedingungen sein!
Mögen alle Wesen Glück und die Bedingungen für Glück besitzen!
Mögen alle Wesen glücklich sein!
Karl Eugen Neumann
(1865, Wien – 1915, Wien)
Neumann hat als erster große Teile des Pali-Kanons in die deutsche Sprache übersetzt, und er gilt als wichtiger Wegbereiter des Buddhismus in Europa.