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„Wir sind Gäste, nicht Besitzer!“
Natur als Praxis – der Bodhi-Wald in GomdeRangjung Yeshe Gomde ist ein buddhistisches Zentrum in der Nähe von Scharnstein, Oberösterreich. Der Autor arbeitet dort seit einigen Jahren gestaltend mit. Er beschreibt hier seine Erfahrungen im Umgang mit Natur und Landschaft vor Ort.
Natur in Gomde
Das Zentrum ist Mitglied der ÖBR, wurde 2004 von Chökyi Nyima Rinpoche gegründet und entfaltet seitdem eine rege Aktivität als Ort des Dharma-Studiums, für Seminare und Retreats.
Die Natur war von Anfang an ein wichtiger Bestandteil von Gomde. Um den renovierten Vierkanthof erstrecken sich ca. 3,5 ha Wiesen und Wald. Aus dem ersten Parkplatz vor dem Haus wurde mit Unterstützung eines englischen Landschaftsgärtners ein Weisheitsgarten mit einer Vielfalt an Blumen und Sträuchern herum und einer Stupa in der Mitte. Es gibt einen Bodhi-Pfad, auf dem sich der Bodhi-Wald entdecken lässt, und einen Bodhi-Pond, der die Meditation und Kontemplation unterstützt und auch als Schwimmteich und Biotop fungiert. Der Teich zieht zahlreiche Insekten wie Libellen, Vögel und Reptilien an. Es ist beeindruckend zu sehen, wie beispielsweise ganze Gruppen von Schwalben über dem Wasser ihre akrobatischen Flüge zeigen, wenn sie zum Trinken kommen. Und in Zeiten des Klimawandels ist dieser Wasserspeicher auch eine wichtige Reserve für Trockenzeiten.
Chökyi Nyima Rinpoche liegen die ökologischen Projekte sehr am Herzen. Seit letztem Jahr versorgt auch ein biologischer Gemüsegarten das Zentrum mit frischen Nahrungsmitteln, und die zum Teil schon sehr alten Apfel- und Birnbäume bieten uns Früchte und Saft für die Herbst- und Wintermonate. Die Vielzahl an Kräutern ist die Grundlage für unseren beliebten Gomde-Tee. Selbstverständlich verwenden wir weder Pestizide noch Düngemittel und fördern lokal angepasste Obst-und Gemüsesorten.
Der Bodhi-Wald – von der Fichtenmonokultur zum Nationalpark Garten
Der Bodhi-Pfad und -Wald ist ein Projekt, das mir besonders am Herzen liegt und das ich seit einigen Jahren begleite. Bis 2006 war diese Fläche, ca. ein dreiviertel Hektar, eine Fichtenmonokultur wie die meisten Wälder ringsum – dunkel und den Blick versperrend. Bei seinem Besuch merkte Chokling Rinpoche an, es wäre doch besser, hier eine offene Aussicht nach Westen zu haben. Kurze Zeit später machte der Sturm Kyrill der Fichtenmonokultur den Garaus, und die Sicht war auf einmal angenehm offen, inklusive der immer wieder überraschend schönen Sonnenuntergänge.
Nachdem der Großteil des gefallenen Holzes aufgeräumt war, drängte uns der zuständige Bezirksförster, bald aufzuforsten. Wir hatten vordringlichere Projekte und die Jahre vergingen – und die Magie der Natur nahm ihren Lauf. Statt künstlich aufzuforsten, entstand und entsteht durch Naturverjüngung ein wunderschöner, artenreicher und naturnaher Wald, ein regelrechtes Lehrstück, wie natürliche Waldwirtschaft aussehen kann. Als erstes kamen die Birken und Salweiden, typische Pionierpflanzen. Nach und nach gesellten sich Bergahorn, Eichen, Eschen, Linden, Kastanien, Buchen, Tannen, Vogelbeere und noch einiges mehr hinzu. Letztes Jahr haben wir auf Wunsch von Chökyi Nyima Rinpoche auch eine Reihe von Wildobstbäumen gepflanzt. Neben den Bäumen gibt es eine Vielzahl von Farnen, Holunder, köstlichen Himbeeren und Brombeeren, und natürlich eine ganze Reihe an Blumen und Kräutern, allesamt ein Paradies für Vögel und Insekten. Am Holunder und den Resten von Totholz und Baumstümpfen wächst üppiges Moos.
„Einen öffentlichen Garten zu haben, ist so wichtig.
Bäume, Blumen, grünes Gras, Wasser – diese Kombination, auch wenn wir nur hinsehen, heilt unseren Stress, unsere Sorgen und unsere Angst.
Es bringt geistigen Frieden, Ruhe, Leichtigkeit.
Darüber hinaus fühlen wir uns weiser.
Es hat so viel Kraft.“
Chökyi Nyima Rinpoche
Diese Landschaft hatte schon etwas Magisches, bevor wir beschlossen, gestaltend einzugreifen. Mich erinnert sie immer wieder an ein Beyül, der tibetische Begriff für ein verborgenes Land. In der Himalayaregion wird eine Vielzahl solcher Beyül beschrieben, meist von Padmasambhava. Von diesen Beyül heißt es, dass sie gesegnet sind, verborgene Qualitäten haben, vergleichbar einem Reinen Land, und die Erleuchtung schneller erlangt werden kann als anderswo.
Die Kunst bestand und besteht nun darin, nur so weit einzugreifen, dass diese magischen Qualitäten nicht verlorengehen und die Natürlichkeit erhalten bleibt. Das Gestaltungsziel war und ist in erster Linie, die schon vorhandenen Juwelen zugänglich und sichtbar zu machen. 2016 begannen wir behutsam, ein Wegenetz zu errichten und Orte zu schaffen, die zum Verweilen, Kontemplieren und Meditieren einladen und die Erfahrung der Verbundenheit mit der äußeren und inneren Natur unterstützen. Dabei wenden wir Prinzipien der kontemplativen Landschaftsarchitektur an, die sich auf umweltpsychologische Erkenntnisse stützen. Die Wege ermöglichen es den Besucherinnen und Besuchern, sich gefahrlos einer im Vergleich zum restlichen Gomde-Areal wilderen Natur anzunähern und zu entdecken.
Wildnis ermutigt uns, eher unsere "Masken" fallen zu lassen und weniger einem Ideal entsprechen zu müssen, wodurch sie ein großartiger Freund und Lehrer sein kann. Schilder weisen wie ein kleiner Naturlehrpfad auf die unterschiedlichen Pflanzenarten hin. 2018 nannte Chökyi Nyima Rinpoche die Wege „Bodhi-Path“, und letzten Sommer wurde dieser von unseren Gästen schon gerne und wohlwollend angenommen. Die positiven Rückmeldungen bestärken uns in dem sanften und ökologischen Ansatz der Gestaltung. Demnächst soll dieses Stück Land auch Teil des „Nationalpark Garten“ werden, ein von Global 20001 initiiertes Projekt zur Bewahrung der Biodiversität.
Natur als Praxis – tiefes Verstehen, Loslassen und Mitgefühl
Die Natur ist eine wunderbare Lehrerin. Jedes Mal, wenn ich nach Gomde komme, um im Bodhi-Wald zu arbeiten, nehme ich mir erst einmal Zeit, um mich auf das Areal einzustimmen. Nur wenn ich erst einmal sein lasse, hinhöre, beobachte, schaue und wahrnehme, kann ich auch verstehen. Und es gibt so viel zu lernen und zu entdecken! Jede Landschaft, jede Pflanze hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Persönlichkeit. Bestimmte Plätze haben energetische Besonderheiten. Die Landschaft ist in ständiger Veränderung begriffen, Vergänglichkeit ist allgegenwärtig, aber auch die Magie grundlegender Gutheit. Mit der Natur, insbesondere einem Wald zu arbeiten, erfordert langfristiges Denken, eines, das alle Lebewesen miteinbezieht, nicht nur die menschlichen Besucher. Das Ziel ist, Nutzen und Wohl für möglichst viele Lebewesen auf lange Sicht zu ermöglichen – bis Bäume, Einsatz und Geduld Früchte tragen.
Im Bodhi-Wald sind wir Gäste der Natur, nicht ihr Besitzer. Meine Aufgabe besteht oft auch darin, vor vorschnellen Eingriffen zu schützen und der Natur ihren Lauf zu lassen bzw. dafür zu sorgen, dass notwendige Eingriffe möglichst naturnah bleiben. Das Verständnis dafür ist nicht selbstverständlich. Es braucht Geduld und Klarheit, wenn unterschiedliche Sichtweisen aufeinander treffen. Manchmal blutet mir das Herz, wenn z. B. bei Baggerarbeiten für den Teich ein wertvolles Ried aus Unwissenheit zugeschüttet wird oder aus falsch verstandenem Eifer ökologisch und gestalterisch wertvolle Weiden gefällt werden, weil sie vermeintlich minderwertige Forstbäume sind. In solchen Situationen ist die eigene Dharmapraxis besonders gefordert: Geduld und Mitgefühl üben, nicht im Ärger hängen bleiben, akzeptieren, dass nicht alles nach den eigenen Vorstellungen vor sich geht. Gleichzeitig aber auch beharrlich bleiben, wo es nötig scheint, Unwissenheit entgegenwirken und mich auf meine innere Klarheit stützen.
Ein wichtiger Aspekt und große Bereicherung der Arbeit in Gomde und damit auch im Bodhi-Wald sind die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die, aus allen möglichen Ländern stammend, für einige Tage, Wochen oder manchmal auch Monate nach Gomde kommen. Für viele ist es der erste Kontakt zum Dharma, und nicht wenige finden hier einen Zugang zur Praxis. Ohne die Helferinnen und Helfer wäre es beispielsweise unmöglich, den Bodhi-Pfad zu bauen und das Areal zu pflegen, da wir hier nur begrenzt Maschinen einsetzen können. Jede und jeder bringt sein oder ihr eigenes Wissen ein, das auch Einfluss auf die Gestaltungsideen nimmt und somit Teil des Lernprozesses ist. Zu sehen, wie Gestaltung nie nur von einer Person alleine kommt, sondern immer das Zusammenspiel vieler Ideen, Hinweise, Informationen, Eindrücke und Umstände ist, macht das abhängige Entstehen deutlich und gemahnt gleichzeitig zu Bescheidenheit.
Bestärkung in all dem erhalte ich dabei vom Bodhi-Wald selbst, der seine ganz eigene Ruhe, Kraft und Gelassenheit ausstrahlt.
Text und Fotos: Thomas Klien
1 www.global2000.at/nationalparkgarten-universum
Thomas Klien
studierte Landschaftsökologie und -planung. Er praktiziert in den Kagyü- und Nyingma-Linien des tibetischen Buddhismus und absolvierte ein traditionelles Dreijahresretreat unter der Leitung von Gendün Rinpoche. Seit einigen Jahren betreut er Landschaftsgestaltungsprojekte in Chökyi Nyima Rinpoche´s Gomde Zentren in OÖ und den Pyrenäen.