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Verantwortung leben
Vor 40 Jahren, im Jahre 1983, wurde der Buddhismus in Österreich als erstem Land in Europa staatlich anerkannt.
Was bedeuten 40 Jahre im Vergleich zu rund 2500 Jahren? Aus meiner persönlichen Sicht und im konkreten Fall sehr viel. Das liegt wohl auch daran, dass wir zu Beginn dieser 40 Jahre, seit der Dharma bei uns in Österreich zu den staatlich anerkannten Religionen zählt, bereits aus dem Vollen einer sich über rund 2500 Jahre entwickelten Weisheitslehre schöpfen durften. Und weil wir es beim Buddhismus mit keiner Glaubens-, sondern einer Weisheitslehre zu tun haben, wird aus ganz unterschiedlichen Beweggründen auch immer wieder in Frage gestellt, ob der Buddhismus denn überhaupt eine Religion sei. Manche tun es, weil für sie die Bezeichnung „Religion“ ohne die Existenz eines Schöpfergottes einfach nicht denkbar ist. Andere wieder, wenn sie es positiv meinen, um den Buddhismus von den abwertenden Konnotationen freizuhalten, mit welchen der Begriff der Religion heute bei uns oft belegt ist. Und dann sind da noch jene, die es abwertend meinen, wenn sie behaupten, Buddhismus sei keine Religion, sondern „nur“ eine Philosophie. Das alles spielt am Anfang, in der Mitte, am Ende und überhaupt niemals eine Rolle dabei, ob die Lehre des Buddha ihren grundsätzlichen und einzigen Zweck erfüllen kann, nämlich: Leid zu reduzieren, aufzulösen und kein neues entstehen zu lassen. Hier haben Definitionen und Begriffsinhalte keinerlei Bedeutung und Auswirkung auf eine erfolgreiche Umsetzung und Praxis.
Übrigens, aus moderner religionswissenschaftlicher Sicht zählt der Buddhismus ohne jeden Zweifel zu den großen Weltreligionen. Zusätzlich haben Begriffsinhalte und Definitionen natürlich schon eine Bedeutung, wenn es darum geht, wie und in welcher Form wir die Lehre des Buddha, diese Erkenntnisreligion, bei uns im Westen am erfolgreichsten für alle Wesen rezipieren können. Und hier sehen wir gerade am Beispiel unseres Landes, wie wertvoll es ist, dass der Religionsbegriff beim Dharma außer Streit steht. Es ist gerade unsere staatliche Anerkennung und damit unsere Gleichstellung mit den anderen Religionen, die es uns möglich macht, die Buddhalehre nicht nur für die einzelnen Praktizierenden, sondern auch für die gesamte Gesellschaft zu einer guten Wirkung zu bringen.
Der Schritt der staatlichen Anerkennung, Ende des Jahres 1982 und zu Beginn von 1983 durch das entsprechende Bundesgesetzblatt endgültig vollzogen, manifestiert ganz sicher nicht nur Rechte für die einzelne Religion, sondern aus meiner Sicht auch ganz besonders Verpflichtungen. Ich sehe hier einen Auftrag des Staates an uns, am Bau einer friedvollen und humanen Gesellschaft intensiv mitzuwirken. Dazu ist festzuhalten, dass eine Trennung von Kirche und Staat im Sinne von Machtausübung unabdingbar ist und bleibt. Dabei ist die Unterscheidung zwischen säkularem Staat oder laizistischem Staat (am Beispiel Frankreichs) sehr wichtig. Am Beispiel von Österreich, dem säkularen Staat, zeigt sich sehr klar, wie wertvoll und wichtig ein laufender und wertschätzender Dialog zwischen den verschiedenen Religionen und zugleich zwischen diesen Religionen – einzeln und als gemeinsame Gruppe – mit dem Staat ist. Dabei geht es nicht um Beeinflussung oder indirekte Machtausübung, sondern um einen offenen Dialog mit dem einzigen Ziel, das Wohl der gesamten Gemeinschaft zu fördern.
Wenn wir von einer humanen Gesellschaft reden, dann dürfen wir auch die Begriffe von Gerechtigkeit und Solidarität nicht außen vor lassen, und die Komplexität unserer Welt lässt grüßen. Damit komme ich an den Punkt, wo sich ein weites Feld für Austausch und Dialog eröffnet. Es stellen sich die Fragen, was ist Gerechtigkeit, aber auch, was ist human? Besonders herausfordernd wird es, wenn wir bei diesen allgemeinen Überlegungen die ganz konkreten Krisenfelder des Hier und Jetzt in unsere Überlegungen mit einbeziehen: Pandemie, Inflation, massive Kriegshandlungen mitten in Europa, aber auch in vielen anderen Teilen der Erde, unterschiedlichste Emigrations- und Immigrationsbewegungen. Diese Aufzählung könnte man noch lange fortführen, aber ich schließe mit dem Hinweis auf die wohl auswirkungsreichsten unserer Krisen, den Klimawandel und die Umweltzerstörung durch Raubbau und Verdreckung.
Ich möchte jetzt nicht bewerten und behaupten, dass die Menschheit bisher noch nie in solchen tiefen Problemen gesteckt ist, aber eines halte ich für sicher: Schon sehr lange nicht war Weisheit und Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen, wie sie der Dharma fördert und lehrt, von so großer Notwendigkeit und Bedeutung wie gerade heute.
Allein die Einsicht der Buddhalehre, dass alles mit allem untrennbar verbunden ist, sich wechselseitig bedingt und voneinander abhängig ist, birgt den Schlüssel, der alle Tore zu den einzelnen Lösungen öffnen kann. Wir sollten das Trennende überwinden und erkennen, dass Menschen und Tiere fühlende Wesen sind, die Leid vermeiden und Wohlbefinden erhalten wollen und beides nur in einer intakten Umwelt möglich ist.
Bereits unserer letzten großen Feier zur 30-jährigen staatlichen Anerkennung im Jahre 2013 haben wir das Motto „Verantwortung leben!“ vorangestellt. An dem hat sich nichts geändert. Vor allem auch deshalb, weil die Wahrnehmung von Eigenverantwortung durch jede und jeden Einzelnen von uns eine Hauptaufgabe der Umsetzung des buddhistischen Weges darstellt, bleibt auch im Jubiläumsjahr 2023 unser Motto: „Verantwortung leben!“
Wir stehen vor ziemlich großen Herausforderungen, und die Lehre des Buddha ist ein Vehikel, das uns da letztendlich gut hindurchtragen kann. Sie bietet nicht apriori politisch-gesellschaftliche Konzepte, sondern „nur“ einen Weg für den einzelnen Menschen, mit der Aufforderung, seine Wirksamkeit gut zu prüfen und bei positivem Ergebnis, diesen dann in großem Vertrauen und Hingabe zu gehen. Wenn wir das in Demut und Disziplin schaffen, bauen wir auch eine gute Gesellschaft. Im Angesicht der Größe unserer aktuellen Aufgaben müssen wir wohl zu Demut und Disziplin auch noch Geduld mit ins Boot holen, das uns an das andere Ufer bringen kann. Dort dürfen wir es dann auch zurücklassen, wenn das Ziel unserer Praxis vollkommen erreicht ist.
Bis wir aber diesem Ziel nahekommen, bedarf es wohl noch viel Anstrengung und Einsatz. Gehen wir diesen Weg gemeinsam.
Danke an die zahlreichen Menschen, die ständig am Bau und an der Wartung dieses „Dharma-Bootes“ ÖBR arbeiten und damit ihren wertvollen Beitrag leisten. Möge es zum Wohle aller führen und die ÖBR für die nächsten Jahre und Jahrhunderte auf einem guten Kurs halten!
Gerhard Weißgrab, ÖBR-Präsident