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21.03.2020

Veränderung ist möglich

Auf dem Weg der Meditation erleben wir manchmal ein bisschen Frieden und – stoßen auf Hindernisse: Gier, Hass und Verblendung, Zweifel bzw. Unentschlossenheit und Unruhe bzw. Sorgen. Dazu kommen Neid bzw. Eifersucht und Überheblichkeit bzw. Arroganz.

 

Die sieben Hindernisse sind reaktive Emotionen, die unser Leben schwerer als nötig machen oder es sogar manchmal völlig vergiften, wenn wir ihnen freie Hand lassen. Wenn wir diese Haltungen bemerken, ihre schädlichen Aspekte bemerken und sie nicht mehr blind und unbewusst ausagieren, können wir Zugang zu einer unerschöpflichen Quelle von Energie und zu einem Schatz der Weisheit finden. Diese große Chance bietet sich uns, wenn wir mit viel Geduld und Humor, mit Ausdauer und heiliger Sturheit immer wieder innehalten und unsere Einstellungen mit kleinen meditativen Übungen erforschen.

 

Neid, Eifersucht und kluges Handeln

 

Wir werden neidisch, wenn andere etwas bekommen oder erleben, was wir auch gerne hätten, und wir werden eifersüchtig, wenn Menschen, die eigentlich uns zustehende Aufmerksamkeit, Zuneigung und Wertschätzung anderen geben. Neid und Eifersucht sind mit Minderwertigkeitsgefühlen, Arroganz und Konkurrenzdenken verwandt. Darauf gehe ich gleich noch ausführlicher ein. Wirtschaft und Gesellschaft fördern Neid und Eifersucht, weil sie uns suggerieren, wir könnten alles erreichen und bekommen, wenn wir es nur genügend wollen. Wenn politische Parteien gegen „die da oben“ und gegen die Besitzenden wettern, wird der Neid der Unterschicht auf Mittel- und Oberschicht in der Form des Sozialneids politisch ausgenutzt. Überall wird statt Kooperation Konkurrenz als Heilmittel für alle Probleme im Bereich der Wirtschaft und Politik, von Kultur und Bildung angepriesen, – kein Wunder, dass Neid und Konkurrenz unsere Beziehungen vergiften. Und auf tragfähige Beziehungen sind wir in unseren Zeiten besonders angewiesen.

 

Welche Stärken liegen hinter Neid und Eifersucht verborgen? Zum einen fördern sie manchmal unsere Leistungsbereitschaft, und wir strengen uns besonders an, um ersehnte Dinge, Einfluss und Anerkennung zu bekommen. Das ist gut, wenn wir eher träge und unentschlossen sind. Und wir sind selten so aufmerksam, wie wenn wir andere Leute beobachten: was sie haben und können und wer von wem welche Art von Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommt. Genau diese Fähigkeit des genauen Hinschauens brauchen wir, wenn wir klug handeln wollen. Wir müssen sehen und verstehen, was wie und womit zusammenhängt. Wenn wir zu Neid und Eifersucht neigen, können wir diese Fähigkeit, genau hinzuschauen, nutzen, und klug und umsichtig handeln lernen. Es geht also darum, dass wir eine Fähigkeit entdecken und sie dann auf sinnvolle Ziele ausrichten, nicht auf das, was uns immer schon fehlt und was andere immer schon haben, sondern auf das, was gerade ansteht, was vor unserer Nase liegt. Das Wunderbare an thematischen Übungen ist, dass wir im Freiraum einer Übung, ohne sozialen Druck, neue Perspektiven und Verhaltensweisen ausprobieren können.

 

Wir können noch weitere Fähigkeiten hinter Neid und Eifersucht entdecken. Allerdings müssen wir zuerst das Gefühl des Mangels und der Minderwertigkeit erkennen, das bei vielen reaktiven Emotionen und eingefahrenen Mustern dahinter steht, selbst dann, wenn sich das als Arroganz oder Zynismus äußert. Wir werden so lange an unseren Mangelgefühlen festhalten, solange wir nicht wirklich wissen, was uns am Herzen liegt, was wir wirklich wollen. Und mit Mangelgefühlen geraten wir immer wieder in die Falle von Neid, Eifersucht und Konkurrenzdenken.

 

Vor allem Neid auf das, was andere haben, sind oder können, kann uns gute Hinweise auf das geben, was uns am Herzen liegt. Wir können in dem Sinne „Neid als Weg zum Mehr“ nutzen. (Wetzel 2010b) Wenn wir das nächste Mal Neid bemerken, nehmen wir ihn zunächst freundlich zur Kenntnis, und wenn wir uns dafür verurteilen, akzeptieren wir auch das, denn alte Gewohnheiten hören nicht auf, wenn wir sie bemerken. Wir fragen uns dann, worauf genau wir neidisch sind: auf Status, Besitz, Anerkennung und Zuwendung, Aussehen oder Einflussmöglichkeiten usw. Und dann fragen wir uns, ob wir das, was diese Person getan, aufgewendet und eingesetzt hat, um all das zu erreichen, auch einsetzen wollen.

 

In anderen Worten, wir fragen uns, ob wir bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen, sei es die Anstrengung, die es braucht, um das Objekt des Neids zu bekommen, sich darum zu kümmern oder sich vor seinem Verlust zu schützen. Wenn wir diese Frage mit Ja beantworten, können wir das zumindest versuchen. Wenn wir sie mit Nein beantworten, fragen wir weiter: „Was liegt mir so am Herzen, dass ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen möchte?“ Wenn wir uns diese Frage immer wieder stellen, jedesmal wenn wir Neid oder Eifersucht bemerken, werden wir fündig. Und wenn wir wissen, welche Anliegen uns wichtig sind, finden wir auch die geeigneten Bedingungen und die Kraft, ihnen Raum zu geben. Und wenn wir das tun, was uns am Herzen liegt, empfinden wir Freude und Lebendigkeit. Und sind weniger anfällig für Neid und Eifersucht. 

 

Überheblichkeit, Konkurrenz und Wissen um Gleichheit

 

Wie schon mehrfach betont, haben Überheblichkeit und Arroganz viel mit Minderwertigkeits- und Mangelgefühlen zu tun. Denn, wie der Volksmund weiß: Wer angibt, hat´s nötig. Jetzt schauen wir uns diese Haltung unter einem anderen Aspekt an. Worauf beziehen wir uns, wenn wir uns über andere erheben oder uns unterlegen fühlen? Wir können uns nur mit anderen vergleichen, wenn es etwas gibt, was wir gemeinsam haben, was gleich ist. Ich kann nur stolz auf meine besseren Englischkenntnisse sein, wenn andere zumindest auch etwas Englisch können. Ich fühle mich materiell benachteiligt, weil ich auch irgendetwas besitze. Ich finde deine Argumente besser, weil ich auch Argumente habe. Ich kann die echte Stärke hinter der Scheinstärke der Arroganz entdecken, wenn ich erkenne, was das Gemeinsame ist, worauf sich meine Überheblichkeit bezieht. Zuerst muss ich aber bemerken, dass ich arrogant bin, und nicht den anderen objektiv überlegen.

Wenn ich also meine Arroganz bemerke, achte ich auf das Gemeinsame, auf das ich mich bei meinem Vergleichen beziehe, und ruhe eine Weile in dem gemeinsamen Grund, in dem Gefühl der Verbundenheit: Wir können beide Englisch. Wir arbeiten am gleichen Projekt. Wir interessieren uns beide für dieses und jenes. Und nur mit einem Gefühl der Verbundenheit können wir eine aggressive oder depressive vergleichende Haltung in spielerischen Wettbewerb verwandeln, in ein lustvolles Sich-Messen in einem auf Englisch geführten Gespräch, einer Debatte oder einem freundlichen gemeinsamen Lauf. Denn das ist die Grundbedeutung von Konkurrenz, lat. concurrere, zusammen laufen.

 

Autorin: Sylvia Wetzel, Foto: Slavko Sereda, dreamstime.com

 

Aus dem Buch

Meditieren – aber wie? Krisen in der Meditation überwinden, Stuttgart 2018.

 

Sylvia Wetzel

geboren 1949, ist Publizistin, buddhistische Meditationslehrerin und Mitbegründerin der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg. Pionierin des Buddhismus im Westen. Zahlreiche Publikationen.

www.sylvia-wetzel.de

 

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