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„Du bist der, der im Hier und Jetzt entscheidet.“
Interview mit Georg Fischer, Vajrayana-Buddhist und ehemaliger Unternehmer, der in einem tibetischen Kloster lebte, meditierte und Schriften studierte.
ÖBR: Lieber Georg, du warst in deinem Beruf Unternehmer, kannst du uns darüber etwas erzählen?
Georg: Meine Geschichte ist vielfältig. Ich machte die Textilhandelsakademie und besuchte gleichzeitig die Hutmacherschule und wurde Hutmacher und Zylinderhutmacher und legte darüber auch die Meisterprüfungen ab. Danach wurde ich Einzelhandelskaufmann und gründete eine Firma, und so nebenbei hatte ich ein Hausverwaltungsbüro.
ÖBR: Wie bist du zur Lehre Buddhas gekommen?
Georg: Der sogenannte Funke ist bei mir mit 16 Jahren übergesprungen. Damals sind die „Heyne“-Bücher [Anm.: Heyne Verlag, 1934 gegründet in Dresden] erschienen, die ich mir gekauft habe und die heute noch neben meinem Bett stehen. Buddhismus, Konfuzius und Lao-Tse, und beim Buddhismus-Band bin ich hängengeblieben, den hat Edward Conze geschrieben. Ich bin nicht gleich dem Buddhismus verfallen, aber die Idee dahinter war mir sofort klar gewesen. Bei meinem zweiten Buch von Conze „Buddhistisches Denken“ hat es bei mir Klick gemacht. Danach bin ich mit 18 Jahren, immer in den Ferien, in das vom Dalai Lama gegründete Kloster Rikon [Anm.: erstes tibetisch-buddhistisches Kloster außerhalb Asiens in der Schweiz] gegangen. Etwas später zu Geshe Rabten [Anm.: kam 1975 in die Schweiz] ins Kloster Tharpa Choeling, danach bin ich nach Le Mont-Pélerin zu Kalu Rinpoche. So bin ich von einem zum anderen [:lacht].
„Der Buddhismus war immer für mich da, aber ich habe es nie hinausposaunt.“
Was mich am Buddhismus fasziniert und zugleich abgestoßen hat, waren die Rituale. Anfänglich verstand ich sie nicht und mochte sie daher auch nicht. Mich interessierte immer die Idee dahinter, dass ich frei war. Da ich viel in den Klöstern war, hatten die Rituale immer einen gewissen Anteil. Während mein Geschäft immer größer wurde, hat mich die buddhistische Idee, dass ich mein Leben bestimme und niemand anderer, immer mehr fasziniert. Ganz egal, was passierte, ich war mein eigener Herr. Ich muss auch gestehen, ich hatte immer viele Ideen, die meine Frau dann auch ausführte [:lacht].
Für mich war von Anfang an die Idee klar, dass niemand anderer mein Leben bestimmt. Ich erkannte schon früh, dass alles durch Ursache und Wirkung besteht, obwohl ich dieses Prinzip erst später in den buddhistischen Texten wiederfand. Wenn ich denke und es kommt etwas, so kann ich es auch verändern. Entweder akzeptiere ich die Gelegenheit, die sich bietet, oder ich gehe aus der Situation hinaus. Dieses Prinzip habe ich bis heute eingehalten.
ÖBR: Wo hast du deine buddhistische Heimat gefunden?
Georg: Seit 2000 bin ich bei Ontul Rinpoche [Anm.: Lho Drikung Ontul Rinpoche – Drikung-Kagyu-Linie] gelandet, der ja ein Freidenker ist. Mit ihm verstand ich mich unheimlich gut. Ich bin schon sehr zeitig nach Indien und Nepal und um den Kailash gegangen und war in Dehradun im Kloster beim Dalai Lama. Ich hatte also einiges durchgemacht, und meine Frau gab mir diese Freiheit, mich für ein, zwei Monate verschwinden zu lassen. Aber ich sprach zu Hause, auch mit meinen Kindern, nie über Religion.
Eine lustige Geschichte in diesem Zusammenhang, als meine jüngste Tochter in der Schule nach meiner Religionszugehörigkeit befragt wurde, antwortete sie: „Ich muss meinen Papa erst fragen.“ [:lacht]. Der Buddhismus war immer für mich da, aber ich habe es nie hinausposaunt.
Die Geschichte ist sehr einfach. Mit 42 Jahren bin ich auf die Universität und habe Tibetologie und Indologie studiert. Nach fünf Jahren gab ich meine Doktorarbeit ab und sie wurde nicht angenommen. Aus einem einfachen Grund, denn der Professor sagte: „Bitte das nicht veröffentlichen, nur wenn auch mein Name [Anm.: des Professors Name] darunter steht.“ Das wollte ich nicht und bin gegangen. Damals habe ich mich geärgert, und meine Tochter animierte mich, meine Doktorarbeit auf einer Website [Anm.: http://www.lantsha-vartu.at] zu veröffentlichen, und das machte mir großen Spaß. Ich bekam von vielen internationalen Universitäten positive Zurufe, nur nicht von Österreich.
ÖBR: Jetzt bin ich neugierig geworden. Erzähl uns von deiner Doktorarbeit.
Georg: Auf der Universität habe ich ein altes Buch gefunden, und darin befanden sich drei Seiten einer Schrift. Das hat mich so sehr fasziniert, dass ich gleich nach Indien gefahren bin. Dort habe ich diese Schrift überall gesehen und nach einer Übersetzung gefragt, und keiner der von mir Befragten hatte eine Ahnung davon. Dann bin ich zu den Bibliotheken in den verschiedenen Klöstern gefahren und da waren wieder andere Schriften. Die eine Schrift heißt „Lantsha“ und ich fand weitere 54 Schriften. Von 32 Zeichen ausgehend, kann man 16.000 Zeichenarten schreiben. Ich habe diese Schrift wieder entwickelt, sodass man sie wieder lesen und schreiben kann. Dafür habe ich alles gezeichnet und die Schrift für „den Computer“ programmiert.
„Sei dankbar für alles, was dir im Leben passiert.“
Angeregt von den vielen Schriften, die die Menschen nicht mehr lesen konnten, fing ich an, einzelne Bücher, die noch vorhanden waren, zuerst ins Tibetische und dann ins Sanskrit zu übersetzen, damit man es wieder lesen konnte. Der Endeffekt dieser Webseiten [www.dakiniscripts.at, www.tibetan-blockstyle.at] war, dass sich viele internationale buddhistische Gesellschaften bei mir meldeten, um sich ihre wichtigsten Texte in dieser für sie heiligen Schrift schreiben zu lassen. Es ist keine heilige Schrift, sondern nur eine Abwandlung von Sanskrit, aber ich lasse alle in ihrem Glauben. Als ich nachfragte, wozu man diese Übersetzungen braucht, kam die Antwort, dass diese heiligen Schriften in Stupas eingemauert werden [:lacht].
ÖBR: Eine Frage zur Gegenwart: Hast du irgendwelche Auswirkungen von Corona gespürt?
Georg: Nein, überhaupt keine. Ich verbrachte die 8 Wochen des „Lockdowns“ bei mir zu Hause in meinem Büro. Da ich im Grunde sehr zurückgezogen lebe, waren oder sind die Auswirkungen für mich kein Thema.
ÖBR: Kannst du uns etwas über deine Tätigkeit in der ÖBR erzählen?
Georg: Ja, ich habe alles Mögliche gemacht. Die letzten 20 Jahren war ich für die Schülergruppen da und zeigte ihnen alle Räumlichkeiten und erklärte die verschiedenen buddhistischen Traditionen. Für mich war es auch sehr interessant, da ich auch auf der Universität war und dort Vorträge gehalten habe. Aber auf der evangelischen Fakultät hatte ich nicht so viel Erfolg, denn auf die Feststellung „Sie müssen doch eine Seele haben“, antwortete ich: „Nein, ich kenne keine Seele, die hat sich bei mir noch nicht vorgestellt“ [:lacht]. Aber ich ließ mich christlich trauen und der Pater hat immer gesagt, sei dankbar für alles im Leben, für alles, was dir im Leben passiert. An diesen Leitsatz habe ich mich mein ganzes Leben gehalten. Immer danke sagen, und ich sage es heute noch.
ÖBR: Wie stehst du zur Frage der Wiedergeburt?
Georg: Das ist mir sowas von egal [:lacht]. Du lebst im Hier und Jetzt, und du kannst in diesem Zeitpunkt jetzt entscheiden, was du willst. Was nachher kommt, ist vollkommen egal, denn es kommt wieder ein Jetzt. Und die Entscheidung wird immer Ursache und Wirkung sein als fortlaufendes System, das nicht mit dem Tod aufhört. Das Leben kann man sich als Kreis vorstellen, und wo immer man am Kreis hintupft, ist Anfang und Ende zugleich, nie hintereinander. Du bist der, der im Hier und Jetzt entscheidet, und niemand anderer.
ÖBR: Hast du einen Herzenswunsch, den du dir gerne erfüllen möchtest?
Georg: Nein, eigentlich nicht. Ich bin glücklich mit meiner Frau, mit der ich 56 Jahre glücklich verheiratet bin und mit dem, was ich tue. Ich lebe von einem Tag auf den anderen. Was sollte ich mir wünschen? Ich habe alles, was ich mir erträumt habe, erfüllt und war immer dankbar dafür.
ÖBR: Danke für das Interview.
Interview: Hannes Kronika, Fotos: Ida Räther
Georg Fischer
geboren Jänner 1940 in Wien, leitete viele Unternehmungen und ist Vajrayana-Buddhist, eine Form des tibetischen Buddhismus. Bereits mit 16 Jahren war er nach der Lektüre von Remarque, Lao-Tse, Konfuzius u. a. auf der Suche nach der absoluten Freiheit, was ihn auch dazu geführt hat, in einem tibetischen Kloster zu leben, zu meditieren, Schriften zu studieren und viele Länder kennenzulernen, in denen der Buddhismus gelebt wird. Seine Doktorarbeit über eine tibetische Schrift, die niemand mehr lesen und schreiben konnte, erlangte internationale Bekanntheit, wurde aber in Österreich von der Universität nicht anerkannt.